ICD-O-3 Erste Revision
Es bestehen grundlegende strukturelle Unterschiede zwischen der ICD-O und der ICD. Im Kapitel II ("Neubildungen") der ICD wird das biologische Verhalten der Neoplasie durch Zuordnung zu einem speziellen Nummernbereich beschrieben. Daher bedarf es in der ICD-10 fünf verschiedener Viersteller um sämtliche Neoplasien der Lunge zu beschreiben (Abbildung 2). Des Weiteren werden nur wenige histologische Typen in der ICD genannt. So besteht keine Möglichkeit, zwischen einem Adenokarzinom und einem Plattenepithelkarzinom der Lunge zu unterscheiden. Beide werden mit C34.9 kodiert.
Das alphabetische Verzeichnis (Band 3) enthält unter dem Begriff Neubildungen eine fünfspaltige Tabelle mit den Überschriften primär, sekundär, in situ, gutartig, unsicherer oder unbekannter Charakter. Nachfolgend werden dann entsprechende ICD-10 Schlüssel für jeden Teil des Körpers aufgeführt.
Maligne | Sekundär | In situ | Benigne | Unsicher oder unbekannt |
|
---|---|---|---|---|---|
Lunge | C34.9 | C78.0 | D02.2 | D14.3 | D38.1 |
Im Gegensatz dazu wird in der ICD-O nur ein einziger Satz aus 4 Zeichen (basierend auf dem Kapitel "bösartige Neubildungen" der ICD-10) verwendet, um die Lokalisation zu beschreiben. Eine Topographie-Schlüsselnummer gilt für alle Neoplasien mit gleichem Sitz. An der fünften Stelle des Morphologie-Kodes wird dann das biologische Verhalten des Tumors angegeben, d.h. ob er benigne, maligne usw. ist (Vgl. "biologisches Verhalten"Abschnitt 4.3.3). Die ICD-O beschreibt außerdem noch die Morphologie der Neoplasie, wie in Abbildung 3 dargestellt. Ein Adenokarzinom der Lunge wird hier mit C34.9 8140/3 verschlüsselt, ein Plattenepithelkarzinom der Lunge mit C34.9 8070/3.
Bezeichnung | Topographie-Kode | Morphologie-Kode |
---|---|---|
Maligne Neoplasie der Lunge, hier ein Karzinom o.n.A. | C34.9 | 8010/3 |
Lungenmetastase eines anaplastischen Seminomes | C34.9 | 9061/6 |
In-situ-Neoplasie der Lunge, hier ein Plattenepithelkarzinom in situ o.n.A. | C34.9 | 8070/2 |
Benigne Neoplasie der Lunge, hier ein Adenom o.n.A. | C34.9 | 8140/0 |
Unsicheres Verhalten einer Neoplasie der Lunge, hier ein peribronchialer Myofibroblastentumor | C34.9 | 8827/1 |
Abbildung 4 zeigt den Kode für das biologische Verhalten (Dignität) der ICD-O und den entsprechenden Nummernkreis aus dem Kapitel II der ICD-10.
Dignitäts-Kode | Nummernkreis | Bezeichnung |
---|---|---|
/0 | D10-D36 | Benigne Neubildungen |
/1 | D37-D48 | Neubildungen unsicheren oder unbekannten Verhaltens |
/2 | D00-D09 | In-situ-Neubildungen |
/3 | C00-C76, C80-C97 |
Maligne Neubildungen, als primär festgestellt oder vermutet |
/6 | C77-C79 | Maligne Neubildungen, als sekundär festgestellt oder vermutet |
Bis zur Publikation der ICD-10 gab es nur drei histologische Typen maligner Tumoren mit eigenen Schlüsselnummern: Lymphome, Leukämien und Melanome der Haut. Zahlreiche auf dem histologischen Typ fußende Schlüsselnummern, wie vor allem das Mesotheliom (C45) und das Kaposi-Sarkom (C46), wurden der ICD-10 hinzugefügt. Zudem wurden die Subtypen maligner Neoplasien der Leber (C22) nach ihrem histologischen Typ differenziert.
Der Bereich C00-C97 der ICD-10 enthält einige Kategorien, die entweder nach der Histologie eingeteilt sind oder bei denen es sich um Metastasen handelt, die in der ICD-O mit dem Kode für das biologische Verhalten verschlüsselt werden. Abbildung 5 zeigt die Nummernbereiche der ICD-10, die im Topographie-Schlüssel der ICD-O weggelassen wurden.
Die Abschnitte C81-C96 der ICD-10 umfassen die malignen Neoplasien des lymphatischen, hämatopoetischen und verwandten Gewebes. In der ICD-O-3 wird ihnen eine spezifische Morphologie-Schlüsselnummer und die Dignitätsziffer /3 zugewiesen. Diese Morphologie-Schlüsselnummer beschreibt zusammen mit dem entsprechenden topographischen Schlüssel aus dem Bereich C00-C80 die vollständige Diagnose. In der ICD-10 wird beispielsweise das lymphozytische Lymphom des Magens mit C83.0 verschlüsselt; in der ICD-O mit C16.9 (für "Magen") und mit 9670/3 (für "lymphozytisches Lymphom").
Den Kode C97 der ICD-10 gibt es in der ICD-O nicht, da hier jeder primäre Tumorsitz normalerweise gesondert kodiert wird. Außerdem sind die Richtlinien zur Definition multipler Primärtumoren von Land zu Land unterschiedlich.
ICD-10 | Äquivalente Schlüssel in der ICD-O, 3. Ausgabe |
|||
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Bereich | Bezeichnung | Lokalisation | Histologie | Verhalten |
C43 | Malignes Melanom der Haut | C44.- | 872 – 879 | /3 |
C45 | Mesotheliom | C--.- | 905 | /3 |
C46 | Kaposi-Sarkom | C--.- | 9140 | /3 |
C81-C96 | Maligne Neoplasien des lymphatischen, hämatopoetischen und verwandten Gewebes | C00-C80 | 959 – 998 | /3 |
C78 | Sekundäre maligne Neoplasie der Atmungs- und Verdauungsorgane | C15-C39 | ____ | /6 |
C79 | Sekundäre maligne Neoplasie an sonstigen Lokalisationen | C00-C14 C40-C80 |
____ | /6 |
D00-D09 | In-situ-Neoplasien | C00-C80 | ____ | /2 |
D10-D36 | Benigne Neoplasien | C00-C80 | ____ | /0 |
D37-D48 | Neoplasien unsicheren oder unbekannten Verhaltens | C00-C80 | ____ | /1 |
C97 | Maligne Neoplasien als Primärtumoren an mehreren Lokalisationen | jeder Sitz wird gesondert kodiert |
____ | /3 |
In der ICD-10 wird C77 für sekundäre und nicht näher bezeichnete maligne Neoplasien der Lymphknoten verwendet. In der ICD-O beschreibt C77 die Lokalisation von Lymphknoten. Deswegen werden die meisten malignen Lymphome der ICD-10 (C81-C85) in der ICD-O dem Lokalisationskode C77 zugeordnet.
Den Dreisteller C42 gibt es in der ICD-10 nicht. In der ICD-O beschreibt er jedoch verschiedene Lokalisationen im hämatopoetischen und im retikuloendothelialen System. Er dient der topographischen Verschlüsselung eines Großteils der Leukämien, myeloproliferativen, myelodysplastischen und verwandten Erkrankungen, die in der ICD-10 unter C90-C95 und an anderer Stelle stehen. In Abbildung 6 sind die Unterkategorien von C42 dargestellt.
Kode | Bezeichnung |
---|---|
C42 | Hämatopoetisches und retikuloendotheliales System |
C42.0 | Blut |
C42.1 | Knochenmark |
C42.2 | Milz |
C42.3 | Retikuloendotheliales System o.n.A. |
C42.4 | Hämatopoetisches System o.n.A. |
Die chronische lymphatische Leukämie wird in der ICD-10 beispielsweise mit C91.1 verschlüsselt. In der ICD-O erhält sie C42.1 (Lokalisation Knochenmark), 9823/3 (chronische lymphatische B-Zell-Leukämie / kleinzelliges lymphozytisches Lymphom).
Der Schlüssel für maligne Neoplasien der Milz (C26.1) der ICD-10 ist in der ICD-O, dritte Ausgabe, nicht der Sektion Verdauungstrakt zugeordnet. Dem Gebrauch der ersten Ausgabe der ICD-O folgend, wurde der Milz die Schlüsselnummer C42.2 im hämatopoetischen und retikuloendothelialen System zugewiesen.
Zu guter Letzt bestehen noch folgende Unterschiede zwischen der ICD-O und der ICD-10:
Die vollständige Blasenmole o.n.A. ("C58.9 9100/0" in der ICD-O) erscheint in der ICD-10 nicht im Kapitel II (Neoplasien), sondern im Kapitel XVII "Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien".
Auch die Neurofibromatose (M. Recklinghausen außer Knochen) wird nicht bei den Tumoren, sondern ebenfalls im Kapitel XVII "Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien" unter Q85.0 geführt.
Es bestand großes Interesse bezüglich maligner Neoplasien in Verbindung mit einer Erkrankung durch das Humane Immundefizienz-Virus (HIV). Solche Neoplasien sollen entsprechend den in diesem Werk genannten Kodierrichtlinien verschlüsselt werden. Die zugehörige Krankheit - erworbenes Immundefizienz-Syndrom (AIDS) - muss gesondert verschlüsselt werden.
Die ICD-O enthält grundsätzlich keine Schlüsselnummern zur Verschlüsselung der funktionellen Aktivität von Neoplasien, wie z.B. für die Katecholaminproduktion beim malignen Phäochromozytom (C74.1 8700/3). Die funktionelle Aktivität der Neoplasie kann durch gesonderte Schlüsselnummern wie die aus Kapitel IV der ICD-10 "Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten" beschrieben werden. Im vorliegenden Fall stünde für die Katecholaminproduktion die E27.5.